Über enge und teils holprige und mit Abfall verschmutzten Nebenstrassen fuhren wir Richtung Shkodra, Albanien. Der Grenzübertritt verlief problemlos und wir konnten sogar noch eine Weile mit der montenegrinischen SIM-Karte navigieren. Doch bald schon mussten wir eine Verkaufsstelle suchen. Im nächsten grösseren Ort stürzten wir uns mit unserem Johnny ins Verkehrsgetümmel und fanden zwischen vielen Menschen, Pickups, Lieferwagen, Reisebussen, Taxis, kleinen und grossen Autos einen Halteplatz und setzten nach Balkan-Manier die Warnblinker. Marco versuchte sein Glück und nach kurzer Zeit kam er mit der teuersten SIM-Karte ever wieder zurück: 23€ für eine Woche mässigen Empfang.
Zu Beginn war die Fahrt auf Albaniens Strassen für mich als Beifahrerin pure Reizüberflutung. Marco konnte sich zum Glück gut konzentrieren, denn die sehr unberechenbare Fahrweise in verschiedenen Tempi, das Gewusel aus Fahrzeugen, Personen, Tieren, Blinklichtern waren sehr herausfordernd. Nebst den wirklich vielen Autos: fahrend, stehend, blinkend, hupend, überholend oder am Strassenrand vor sich hin rostend, begegnet man in diesem Land auffallend vielen Menschen auf und neben der Strasse. Auch wenn gefühlt jede Person hier ein Auto besitzt, ist auch das Damenvelo ein beliebtes Verkehrsmittel um von A nach B zu kommen. Wenn es regnet, gern auch mit Regenschirm in der Hand. Auch zu Fuss sind sehr viele Menschen unterwegs. An jeder Ecke und an jeder Kreuzung standen Leute mit Plastiktüten, offenbar auf eine Mitfahrgelegenheit wartend. Zum Teil liefen sie einfach über die zweispurige Schnellstrasse. Manchmal auch mit Truthähnen, Ziegen, Schafen oder Eseln im Schlepptau.
Auch neben den Strassen prasselte ein Durcheinander von Eindrücken auf uns ein. Von Bosnien und Montenegro kannten wir die Bilder der Abfalldeponien – den vielen Müll waren wir uns schon gewohnt. Der Norden Albaniens jedoch, vermochte alles bisher Gesehene zu überbieten. Hier lag der Plastikabfall einfach überall. Also nicht auf Haufen oder Deponien; einfach überall verteilt als würde es niemanden kümmern, als wäre es die Normalität. Zum Teil sahen die Plastikreste auf grünen Wiesen aus, wie bunte Frühlingsblumen. An Weihnachtsschmuck erinnerten uns Plastikfäden, die an den Ästen von Sträuchern hingen und weite Strecken von ausgetrockneten Flussläufen zierten. Am Strassenrand der Autobahn wechselten sich Pneuhändler, Autowaschplätze, Gebrauchtfahrzeughändler, Mercedes-Werkstätten, Tankstellen und Händler für alle Arten von Autoersatzteilen mit Möbelhäusern und Gemüseständen ab. Um diese zu erreichen, bitte einmal hupen, Warnblinker rein, auf Schrittempo abbremsen und dann scharf rechts abbiegen. Ab und zu kam abrupt eine Art Einspurstrecke mit Tempo 30.
Die Wohngegenden in ländlichen Gebieten, die wir beim Vorbeifahren sehen konnten, bestanden (ähnlich wie in Bosnien und Herzegowina) aus halbfertigen und/oder heruntergekommenen Häusern und Vorgärten. Auffallend anders, waren die Metalltanks auf den Dächern. Nahezu jedes Gebäude war damit versehen. Später lernten wir den Grund dafür kennen: Mittels Sonnenenergie wird hier Warmwasser produziert. In den Grünflächen vor und neben den Häusern stand immer mindestens ein Baum mit Zitrusfrüchten und ein kleiner Acker auf dem ein Tier angekettet graste. Auch eine mit Kleidungsstücken behangene Wäscheleine gehörte zu jedem bewohnten Haus dazu, und irgendwo glimmte immer ein Feuer vor sich hin und liess Rauchschwaden in den Himmel steigen. In Stadtnähe gabs natürlich viele Wohnblocks und interessanterweise auffallend viele grosse Hotelgebäude in einem Stil, das uns an Spielcasinos erinnerte.
Von Berichten anderer Reisenden hatten wir von herzzerreissenden Begegnungen mit bettelnden Kindern gehört, und wir hatten ein wenig Sorge, wie wir auf solche Situationen reagieren würden.
Wir haben während der Fahrt durchs Land auch einige aufwühlende und berührende Szenen gesehen. Zum Beispiel die Frauen, die neben rostigen Pocketgrill-Schalen am Strassenrand auf dem Boden sassen und Maiskolben grillten. Oft waren auch kleine Kinder dabei. Oder die Männer, die uns junge Hunde und Kaninchen ans Beifahrerfester streckten. Auch lebendige Hühner in Kartonkisten wurden zum Verkauf angeboten. Angebettelt wurden wir nur einmal und das in einer ganz gewohnten Art und Weise. Stattdessen wurde uns von einem wildfremden einheimischen Mann, Albanische Lek angeboten, da wir nur Euros dabei hatten. Und das nur weil wir uns mit dessen Sohn eine Weile über die Schweiz unterhalten hatten, wo dieser zwei griechische Restaurants betreibt.
Da in Albanien das freie Übernachten erlaubt ist, fuhren wir für die erste Nacht an einen Strand. In einer Strandbar wollten wir albanisch Essen und direkt da übernachten. Leider hatte das Restaurant zu und ausser ein paar Strassenhunden, war niemand mehr da. Die vielen geschlossenen Strandlokale deuteten auf ein reges Treiben im Sommer hin. Allerdings war auch so viel kaputt, dass wir nicht einschätzen konnten, ob die Bars vor ein paar Wochen noch in Betrieb waren oder sie seit Jahren verlassen sind.
Nebst dem vielen Abfall am Strand, gab es hier auch sehr viel Schwemmholz. Dieses wurde am nächsten Morgen von zwei alten Leuten mit einem Einachser eingesammelt. Wir dachten zuerst, dass die beiden den Strand säubern würden, doch bald war klar: die holen sich hier ihr Brennholz. Eine Erkenntnis, die mich schwer beschäftigte und sich mein westeuropäisches Denken etwas beschämend anfühlte. Hier hat kaum jemand die Kapazität, sich um die überwältigende Menge an Plastikabfall zu kümmern, die Menschen hier müssen schauen, dass sie genug zu Essen und Trinken und ein warmes Zuhause haben.
Wir fühlten uns an unserem Übernachtungsplatz nicht sonderlich wohl und fuhren früh am Morgen weiter. Das Dorf in der Nähe, das sicher in der warmen Jahreszeit auch einladender wirkt, war recht belebt. Ältere Menschen trieben Tiere zur Weide, einige Kinder waren unterwegs, zum Teil wurden Äpfel am Strassenrand angeboten, Strassenhunde bewachten ihre Abfallcontainer und hie und da stieg Rauch auf.
Dank Instagram wussten wir von einem speziellen Strand: dem Dalan Beach, einer der bekanntesten und hübschesten Plätze in Albanien. Dorthin fuhren wir nun, in der Hoffnung, mit ein paar Reisenden in Kontakt zu kommen – vielleicht sogar mit Reisefamilien. Der Weg war schon ein wenig abenteuerlich und führte entlang einer Lagune, wo wir Flamingos und viele Fischer beobachten konnten. Auch Schafe und Ziegen kreuzten unseren Weg auf der buckligen Schotterstrasse. Als wir am Strand ankamen wars noch nass und kalt und es wurde bald dunkel. Etwa sechs Camper waren da und wir parkten in ausreichendem Abstand. Am nächsten Tag lernten wir unsere Nachbarn schnell kennen: unter anderem drei Familien. Zum ersten Mal konnten wir uns mit anderen Reisenden austauschen. Beim gemeinsamen Abendessen und Lagerfeuer am Strand bekamen wir viele Tipps und auch wir konnten von unseren Erlebnissen und Erfahrungen als Reisende im Balkan berichten. Schnell stellten wir fest, dass wir ähnliche Routen gemacht hatten: bei Alec in Blagaj, zum Beispiel, waren auch die anderen vorbeigekommen und von seiner überschwänglichen Gastfreundschaft verwöhnt worden.
Annalena knüpfte schnell Kontakt mit einem französischen Mädchen in ihrem Alter und Nino konnte am Lagerfeuer von seinen Erlebnissen erzählen. Wir staunten nicht schlecht, wie gut sein Englisch geworden ist und dass er sich traute, mit den fremden Leuten zu sprechen.
Morgens wurden wir von den grasenden Kühen rund um die Fahrzeuge geweckt, mittags von einer Schafherde umzingelt und immer wieder von ein paar Strassenhunden besucht, die auf ein Stück Brot hofften. Wir alle genossen die Tage in Gesellschaft inmitten einer wunderschönen Natur.
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